Wohnungslosigkeit kann in einer Großstadt wie Berlin jeden treffen. Gründe hierfür reichen von Änderungen im familiären Verhältnis (z.B. Beziehungsende, Abschied des Lebenspartners bzw. der Lebenspartnerin etc.) über Wohnungskündigungen zu psychischen Erkrankungen oder Suchterkrankungen. Wenn man dann noch die Hoffnung verliert, zeitnah eine neue Wohnung zu finden, kommt die Gefahr dazu, in die Obdachlosigkeit abzurutschen.

Um die Augen hiervor nicht zu verschließen und auf die Probleme wohnungs- und obdachloser Menschen aufmerksam zu machen, finden seit einigen Jahren in vielen deutschen Städten Aktionen gegen Wohnungslosigkeit statt. Seit 2024 wird auch bundesweit der Tag der Wohnungslosen am 11. September begangen. Damit soll nicht nur ein Zeichen gegen Wohnungslosigkeit und für soziale Gerechtigkeit gesetzt werden, sondern auch die Politik zum Handeln aufgefordert werden.

Auch die SBW Berlin versucht gegen die immer steigende Wohnungsnot anzugehen. Deshalb entstand im Herbst 2024 das Projekt „VierWändeFinden“. Seither helfen wir in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Neukölln Wohnungslosen in Berlin und bieten ihnen nicht nur eine kostenlose Unterkunft in einer unserer Zweier-WGs für die Dauer von sechs Monaten an, sondern unterstützen sie auch tatkräftig bei der Wohnungssuche.

Auch unsere Stipendiaten engagieren sich in diesem Bereich und helfen beispielsweise bei der Kälte Hilfe des Unionhilfswerk in den kalten Herbst- und Wintermonaten aus. SBW Berlin Stipendiatin Marlene F. hat ihre Eindrücke zum Thema Wohnungs- und Obdachlosigkeit in einer Kurzgeschichte festgehalten.

Montagmorgen

Viel zu früh reißt dich das schrille Klingeln des Weckers aus dem Schlaf. Müde gähnend schälst du dich aus dem warmen, flauschigen Bett, schleppst dich in die Küche und stellst dir die erste Tasse Kaffee hin. Draußen ist es noch stockfinster, der Blick aufs Thermometer lässt dich frösteln: „Viel zu kalt, um rauszugehen“, denkst du. Trotzdem machst du dich fertig, ziehst dich an und gehst zur Arbeit.

Auf dem Weg zum Bahnhof bleibst du, wie fast jeden Morgen, bei der kleinen Bäckerei an der Ecke stehen. Wieder einmal stehst du vor der Qual der Wahl: Käsebrötchen, Laugenstange oder doch Croissant? Nach kurzem Grübeln nimmst du irgendwas aus der Auslage, dazu noch einen großen Kaffee. „Eine zweite Tasse schadet ja nie“, murmelst du dir selbst zu.

Mit deinem Frühstück in der Hand verlässt du den Laden. Du setzt gerade den Becher an den Mund, als dein Blick zufällig hinüber zur Brückenunterführung fällt. Dort sitzt ein Mann, eingewickelt in schmutzige Decken, die kaum wärmen. Unter ihm nur ein Stück Pappe, durchgeweicht vom Regen. Neben ihm stapeln sich leere Flaschen, zu viele, um sie zu zählen. Du beobachtest, wie er nach einer greift und sich noch eine öffnet.

Verächtlich verziehst du das Gesicht, wirfst einen schnellen Blick auf die Uhr. „Um diese Uhrzeit schon trinken? Das könnte ich nicht“, denkst du und drehst dich hastig weg, um den beißenden Geruch von Urin und abgestandenem Alkohol zu meiden. Du steigst in die warme Bahn, froh, diesen Anblick hinter dir gelassen zu haben.

Was du nicht weißt: Der Mann trinkt heute sein siebtes Bier – nicht, weil er Lust auf Alkohol hat, nicht, weil er den Geschmack mag. Er trinkt, um zu überleben. Um die Kälte der Nacht zu betäuben, die ihn kaum schlafen ließ. Um die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen, die unaufhörlich fragen, warum alles so gekommen ist.

Vor ein paar Jahren hatte er noch ein normales Leben. Arbeit, eine kleine Wohnung, ein paar Freunde. Dann kam die Krankheit – körperlich, aber vor allem auch seelisch. Erst fehlten die Krankentage im Job, dann verlor er ihn ganz. Die Ersparnisse reichten eine Weile, dann nicht mehr. Die Wohnung weg, die Hoffnung gleich mit. Die Menschen, die ihm früher nahestanden, wandten sich ab. Er hatte irgendwann aufgehört zu erklären, aufgehört um Hilfe zu bitten.

Heute bleibt nur der Alkohol, um den Tag zu überstehen. Nicht, weil er frei gewählt hat, sondern weil es sein letzter Halt geworden ist. Jeder Schluck ist ein Versuch, die Realität auszublenden, die andere lieber ignorieren.

Du sitzt inzwischen im warmen Zug, drehst gedankenverloren den Becher in deiner Hand. Du erinnerst dich an den Blick unter der Brücke und spürst ein leichtes Unbehagen. Vielleicht ist es zu einfach, im Vorbeigehen zu urteilen. Vielleicht siehst du nur den Alkohol, nicht aber den Menschen dahinter. Vielleicht fragst du dich irgendwann, wie dünn die Linie ist, die ein „normales Leben“ von der Kälte auf der Straße trennt.

Wie kannst du helfen, fragst du dich jetzt vielleicht?

Sicherlich fragst du dich nun, nachdem du die Geschichte gelesen hast, wie du helfen kannst. Die Berliner Stadtmission, die Berliner Kälte Hilfe des Unionhilfswerks oder die Caritas Berlin beispielsweise unterstützen Wohnungs- und Obdachlose mit verschiedenen Projekten und sind stets auf der Suche nach weiteren ehrenamtlichen Helfern und Freiwilligen. Du kannst dort u.a. in der Notübernachtung, Kleiderkammer oder bei der Essenausgabe helfen. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten zum Mitmachen. Schau doch einfach mal auf die Webseite der jeweiligen Organisation bzw. Einrichtung, wie du dich dort engagieren kannst.

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